Cédric Duchêne-Lacroix, Institut für Soziologie, Universität Basel;
Pascal Maeder, Historisches Seminar, Universität Basel
17.05.2012-19.05.2012, Basel, Universität Basel
Deadline: 22.12.2011
– texte français ci-dessous –
Multilokale Lebensformen gewinnen zusehends an Bedeutung: transnationale
MigrantInnen, WochenaufenthalterInnen, Scheidungskinder, die über zwei
Heime verfügen, ZweitwohnbesitzerInnen oder auch getrennt lebende
Lebensgemeinschaften, sie alle leben und/oder arbeiten über kurz oder
lang an verschiedenen Orten. Zwischen Mobilität, Umzug und
Sesshaftigkeit situiert, liegen dem multilokalen Leben komplexe
familiale, berufliche, staatsbürgerliche oder freizeitliche Motive
zugrunde. Dass diese Erscheinung nicht neu und vielfältig ist, zeigen
einige Beispiele: Seeleute, Hausierende, Verding- und Schwabenkinder,
Kaufleute, Söldner, transhumante Hirten, Saisonarbeiter, wandernde
Handwerksgesellen oder wohlhabende Adelige und Bürger mit
unterschiedlichen Sommer- und Winterresidenzen. Über die Epochen hinweg
und angesichts neuer Technologien hat sich diese Erscheinung indes
verändert und schliesst heute einen sich ausweitenden Personenkreis
ein.
Das multilokale Leben hebt bestimmte Kompetenzen und Ressourcen hervor.
Wissen und im Stande sein, mobil zu sein, das Handhaben von hier und
dort sowie der durch dir räumliche Bewegung multiplizierte Zugang zu
Ressourcen sind Teil dieser Multilokalität. Das multilokale Leben
potenziert Handlungs- und Widerstandsoptionen gegenüber lokalen
politischen, sozialen oder familialen Entwicklungen, allerdings nicht
ohne Kehrseiten. Die Entfernung zur Familie und zum
Hauptlebensmittelpunkt oder die Abhängigkeit zu Transport- und
Kommunikationsmitteln sowie von den Risiken der Arbeitsmärkte machen
Menschen verwundbar und führen möglicherweise zu deren Desozialisierung,
sozialen Ausgrenzung und Deklassierung wie auch zur physischen und
psychischen Erschöpfung.
Obschon das multilokale Leben in der neuesten Geschichte und Gegenwart
an Bedeutung gewonnen hat und in seiner Vielfalt weite Teile der
Bevölkerung tangiert, und die Forschung einzelne Aspekte der
internationalen Migrationen aufgegriffen und teils untersucht hat, fehlt
es an sozialwissenschaftlichen und historischen Untersuchungen, die
diese Art und Weise zu leben, deren Ressourcen und Verwundbarkeiten, zum
zentralen Thema machen. Ziel des Workshops ist es deshalb, Licht auf
dieses Untersuchungsfeld zu werfen und zwar entlang von vier
verschiedenen Forschungsachsen:
1- Welche Art von Multilokalität steht im Zusammenhang mit welcher
Ressource?
Multilokale Praxen mobilisieren räumliches Mobilitätswissen,
-kompetenzen und -kapitale. Sie beruhen auf individuellen und
kollektiven Ressourcen und rufen im Sinne Bourdieus sowohl im lokalen
wie auch im multilokalen Rahmen mobile, situierte, logistische,
kommunikative, soziale und/oder familiale Eigenheiten und Gewohnheiten
hervor. Um ein besseres Verständnis über die vielfältigen, multilokalen
Lebenswege zu gewinnen, gilt es, die Verknüpfungen zwischen Ressourcen
und Praxen zu differenzieren und womöglich Typologien zu konturieren.
2- Welche individuelle und kollektive Dynamiken stehen dahinter?
Es wird um Eingaben gebeten, die das multilokale Leben in Zusammenhang
mit individuellen und kollektiven Dynamiken stellen. Bestimmte
multilokale Lebensformen beginnen mit bestimmten Lebensphasen, je nach
sozialen und kulturellen Kontexten; sie entsprechen gewissen Motiven,
bestimmten sozio-kulturellen, politischen oder wirtschaftlichen Zwängen,
die im hier und/oder dort situiert sind, und wieder vergehen oder
möglicherweise über Generationen hinweg dauerhaft wirken.
3- Was sagen uns Brüche über die Dauer, Widerstandsfähigkeit und
Verwundbarkeiten multilokalen Lebens?
Multilokale Lebensformen mögen aus Zwangs- und Notsituationen
hervortreten. Diese nehmen Einfluss auf die sozialen Beziehungen über
die Distanzen und der physischen An-/Abwesenheit hinweg und werfen damit
die Frage der familialen und lokalen, beispielsweise
zivilgesellschaftlichen Einbindung auf. Gleichzeitig wird auch die
Stellung multilokaler MigrantInnen gegen-über lokalen Gegebenheiten und
Hierarchien in Frage gestellt. Multilokale Lebenssituationen zwingen zur
Überwindung von grösseren Distanzen und generieren bestimmte
Territorialitäts- und Verhaltensformen, um sich hier und/oder dort
einzubinden und Soziales zu produzieren. Was passiert, wenn die
sozialen, politischen oder technischen Umstände sich lokal verändern?
Verändern sich dann auch die multilokalen Lebensformen und deren
Interdependenzen?
4- Was sagt uns die Multilokalität über Gesellschaften in Geschichte und
Gegenwart?
Die Multilokalität entsteht in vormodernen und modernen Gesellschaften.
Sie stellt monolokale Lebensformen in Frage und perspektiviert neu, die
Art und Weise zusammen zu leben. Sie beleuchtet ebenfalls Bezüge
vormoderner und moderner Gesellschaften zu Distanzen und Sesshaftigkeit.
Gegenwartsgesellschaften leben im Spannungsfeld zwischen Mobilität und
Sesshaftigkeit im Glauben, unüberbrückbare Entfernungen scheinbar
überwunden zu haben. Spielt sich deshalb die Multilokalität heute im
unmittelbar Gleichzeitigen ab und ist im Vergleich zu älteren Formen
weniger die Folge sukzessiver Bewegungen im Raum?
Es werden um Paper Proposal (max. 3000 Zeichen) aus den Geistes- und
Sozialwissenschaften, insbesondere der Soziologie, Sozialanthropologie
oder der Geschichte, erbeten, die historische und/oder
gegenwartsbezogene Beispiele entlang der vier skizzierten Achsen
diskutieren. Bitte einsenden zusammen mit kurzen Angaben zur Person bis
zum 22. Dezember 2011 an Pascal Maeder, Historisches Seminar der
Universität Basel, pascal.maeder@unibas.ch und Cédric Duchêne-Lacroix,
Institut für Soziologie der Universität Basel, c.duchene@unibas.ch .
Die Präsentationen können am Workshop in Deutsch, Französisch oder
Englisch gehalten werden. Die Reise- und Übernachtungskosten der aktiven
TeilnehmerInnen werden dank der Unterstützung u.a. der Basel Graduate
School of History zum Teil übernommen. Im Anschluss an den Workshop ist
eine Publikation geplant, die möglichst alle Beiträge in einem
Zeitschriftenband vereint.
—
L’éclatement des lieux de vie et les modes de vie multilocales gagnent
en importance dans nos sociétés. Une multitude de pratiques en témoigne
: migrants transnationaux, navetteurs hebdomadaires professionnels,
enfants pendulaires entre les foyers de parents séparés, résidents
se-condaires ou encore couples non-cohabitants. Situé à mi-chemin entre
mobilité, déménagement et sédentarité, l’habiter multilocal se construit
sur des motifs intriqués familiaux, professionnels, citoyens ou de
loisir se réalisant en des lieux éloignées les uns des autres. Des
exemples mon-trent que le phénomène est ancien et pluriel : familles de
marins, colporteurs, enfants placés en ferme (‘Verdingkinder’,
‘Schwabenkinder’), mercenaires, commerçants, bergers transhumants,
ouvriers saisonniers, des artisans apprentis en voyage, noblesse ou
bourgeoisie prenant ses quartiers d’hiver ou d’été. Mais au fil du temps
et face à l’avancée de nouvelles technologies et des relations sociales,
les formes d’habiter multilocal se transforment et le phénomène
toucherait plus de profils sociaux aujourd’hui.
Cette vie multilocale mobilise des compétences et des ressources
particulières. Savoir et pouvoir être mobile savoir se faire d’ici et de
là-bas, avoir accès à des ressources en infrastructures et services font
partie des conditions de la multilocalité. En retour, l’habiter
multilocal ménage des potentialités d’action et de résilience face à des
changements localisés (politiques, sociaux, familiaux, etc.) mais il a
aussi son revers. Eloignement familial et local plus ou moins long,
dépendance aux moyens techniques, dépendance aux aléas des marchés de
l’emploi peuvent par exemple rendre les individus plus vulnérables à la
désocialisation, à l’exclusion ou au déclassement social tout comme à
l’épuisement psychique et physique.
Bien que le phénomène ait pris de l’ampleur dans les sociétés modernes
et contemporaines et qu’il touche dans sa variété un grand nombre de
personnes et de ménages, et que le thème de la vulnérabilité soit
aborder dans les études sur les migrations internationales, il y a
encore peu d’études d’ensemble et d’études historiques réalisées sur les
ressources et vulnérabilités de la vie multilocale. L’objet de cet
atelier est de mettre en lumière ce champ de recherche et d’approfondir
en particulier quatre axes fondamentaux :
1- Quels types de multilocalité pour quelles ressources ?
Toute pratique multilocale mobilise des savoirs-circuler, des
compétences et capitaux spatialisés. Mais chaque type de situation
multilocale peut activer au niveau local et multilocal des habitudes
mobiles, situées, logistiques, communicationnelles, sociales et/ou
familiales ainsi que des ressources individuelles et collectives
différentes. Il y a besoin de mieux décrire pratiques et ressources, de
tenter mêmes des typologies pour comprendre les situations multilocales,
leurs forces et leurs faiblesses.
2- Quelles dynamiques biographiques et collectives ?
Il s’agit ici pour les intervenants de situer les modes de vie
multilocaux dans des dynamiques individuelles et collectives. Certaines
multilocalités débutent à certaines phases des parcours de vie, selon
certains contextes sociaux et culturelles, peuvent correspondre à
certains motifs, certaines contraintes socio-culturelles, politiques ou
économiques localisées dans un ici ou/et un là-bas et enfin disparaître
avec un changement social ou s’installer sur le long terme, voire de
façon intergénérationnelle.
3- Que nous enseignent les moments de rupture sur la pérennité, la
résilience et la vul-nérabilité des situations multilocales ?
Les situations de multilocalité peuvent être des situations de force ou
de vulnérabilité. Ces situations travaillent les rapports sociaux
au-delà de la distance et de l’absence physique posant la question de
l’intégration familiale et locale (configurations familiales,
citoyenneté, etc.) et de la légitimité des multilocaux par rapport à des
classements sociaux locaux. Les situations de multi-localité forcent à
s’accommoder des distances physiques, produire certaines formes de
territorialité, activer certaines manières de faire pour s’intégrer et
produire du social. Que se passe-t-il lorsque les conditions sociales,
physiques, techniques changent? Que disent ces moments de rupture des
situations multilocales ?
4- Que nous dit la multilocalité des sociétés d’hier et d’aujourd’hui ?
Certains modes de vie multilocales émergent dans certaines sociétés
quelles soient anciennes ou modernes et les bouleversent. Ces modes de
vie multilocales remettent en cause les normes de vie monolocales,
réinventent les façons d’être ensemble. Ils interrogent aussi sur les
rapports à la distance et à la sédentarité des sociétés d’hier et
d’aujourd’hui. Nos sociétés modernes avan-cées se vivent dans la
schizophrénie de la mobilité et de la sédentarité croyant avoir dépassé
la question des distances physiques. La multilocalité d’aujourd’hui se
vivrait-elle davantage dans l’immédiateté et moins dans la successivité
que les formes plus anciennes? Qu’est ce que cela change pour nos
sociétés ?
Nous invitons les chercheurs en sciences humaines et sociales intéressés
par le sujet, en particulier en sociologie, anthropologie ou histoire, à
nous envoyer une proposition de contribution (max. 3000 signes)
correspondant à l’un des quatre axes et s’appuyant sur une base
empirique historique ou contemporaine. Une brève présentation du profil
du chercheur accompagnera la proposition à envoyer d’ici au 22 Décembre
2011 conjointement à Dr. Pascal Maeder, Historisches Seminar der
Universität Basel, pascal.maeder@unibas.ch et Dr. Cédric
Duchêne-Lacroix, Institut für Soziologie der Universität Basel,
c.duchene@unibas.ch.
Les contributions de l’atelier pourront être présentées en allemand,
français ou anglais. Les frais de transports et de nuitées des
contributeurs seront pris en outre en partie en charge par l’école
doctorale d’histoire de Bâle. Une publication dans une revue spécialisée
de tout ou partie de l’atelier est prévue.
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Pascal Maeder
Hirschgässlein 21, CH-4051 Basel
pascal.maeder@unibas.ch
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